Europameisterschaft 2022 der A-Cat Classic in Arco/Gardasee

Europameisterschaft der A-Cats in Arco, am nördlichen Ende des Gardasees, dort, wo es immer verlässlich kräftigen Wind hat? Was für ein Segeltraum! Da hüpft das Herz des A-Cat-Classic-Seglers vor Freude, und Melden nach erfolgter Qualifikation auf nationaler Ebene ist reine Formsache. Doch das Herz klopft nicht nur vor Freude. Es gibt eben auch die Geschichten von gnadenlosen Starkwindregatten, von Gewitterstürmen mit zerstörten Katamaranen und vieles mehr. Soll man sich das wirklich antun? 30 Classic-Segler aus elf Ländern entschieden für sich: Ja!
Am Ende erwiesen sich beide Formen des Herzklopfens berechtigt. Während der Trainingstage herrschte wie immer kräftiger Wind mit anständiger Welle, es war aber absolut segelbar. Vor allem im Segelgebiet Richtung Süden, etwa bei Navene, nahm der Wind meist auf 12 bis 15 Knoten ab. Mehr braucht ein A-Cat eigentlich nicht, um voll abzugehen. Wie gut, dass der vorgesehene Racecourse „Verona“ genau hier lag. Leider sollte er jedoch nie benutzt werden, eine von mehreren rätselhaften Entscheidungen der Wettfahrtleitung.

Doch fangen wir von vorne an. Bereits im sonntäglichen Practice Race zeigt der 20-jährige Youngster Moritz Weis bei perfekten Segelbedingungen, dass man auch auf einem kleinen süddeutschen Binnenrevier wie dem Schluchsee segeln lernen kann. Er überzeugte insbesondere auf den Downwindkursen mit exzellenter Bootsgeschwindigkeit und konnte damit sogar allzu vorsichtige Starts ausgleichen. Souverän ging er barfuß auf dem Vorwind ins Trapez und überholte einen Konkurrenten nach dem anderen. Ebenfalls ganz vorne dabei war erwartungsgemäß „Mr. Fiberfoam“, Scott Anderson aus Australien. Seine jahrzehntelange Erfahrung, unter anderem als Silbermedaillengewinner 1984 im Tornado, zahlte sich einmal mehr aus. Mit allem Wassern gewaschen zeigte sich auch Gustavo Doreste aus Barcelona, ebenfalls ein alter Hase im A-Cat. Zu den weiteren Favoriten zählten „Mr. Pink Hammer“ Micky Todd, der amtierende Vizeweltmeister im A-Cat Classic, der italienisch-schwedische Starkwindkönig Alberto Farmesi und der windfeste Schotte Hugh MacGregor.
Die Classic-Flotte hatte aber noch viele weitere gute Segler aufzuweisen, wie sich in den ersten Renntagen zeigte. Die Zieleinläufe waren eng, selbst im hinteren Mittelfeld entspannten sich harte Zweikämpfe, bei denen um jeden Meter gekämpft wurde. Ein kurzfristig mäßiger Segeltrimm, eine leicht vergurkte Wende oder eine nicht optimal getroffene Layline, und man wurde sofort um mindestens fünf Plätze zurückgereicht, oft auch gleich um zehn. Das machte die Rennen hoch spannend, was gut so war, denn taktisch hat der Norden des Gardasees recht wenig zu bieten. Es geht auf dem nördlichen Kurs „Trento“ so gut wie immer über die rechte Bahnseite. Dort beschleunigen die hoch aufragenden Felsen den Wind um rund drei Knoten und sorgen außerdem für einen Zieher zur Luvtonne. Auf dem Downwind ist es dann ganz ähnlich, an der Ablauftonne halsen alle Segler schnellstmöglich rüber zur Wand.
Nach zwei Renntagen bei traumhaften Bedingungen lag Moritz knapp auf dem ersten Platz, gefolgt von Scotty und Gustavo. Doch dann folgten zwei Renntage, die selbst hartgesottenen Seglern den Angstschweiß auf die Stirn trieben, wie sie allesamt selbst zugaben, und die das Klassement durcheinander wirbelten. Am Mittwoch drehte der Wind erst zum Startschuss auf 20 bis 25 Knoten auf; dass die Wettfahrtleitung diese Wettfahrt laufen ließ, ist halbwegs nachvollziehbar, auch wenn an reellen Regattasport mit einem A-Cat eigentlich nicht mehr zu denken war und alle Segler nur noch auf Sicherheit fuhren. Micky Todd überschlug sich dennoch auf dem Vorwindkurs und verletzte den Arm an der scharfen Hinterkante des Schwertes. Er verbrachte die Nacht im Krankenhaus, wo er genäht werden musste. Es hätte noch schlimmer kommen können, der Wetterbericht hatte für den frühen Abend aufgrund einer Front Wind bis zu 35 Knoten vorhergesagt.

Micky Todd


Am Donnerstag kam es dann tatsächlich noch schlimmer. Die Foiler starteten erneut als Erste bei zunächst noch moderaten Bedingungen. Doch dann schwellte der Wind vor Torbole so mächtig an, dass selbst die Surfer nur noch ihre 4m²-Segel nutzten und dennoch oft ins Wasser katapultiert wurden. Ungeachtet dessen rief die Wettfahrtleitung per Flaggensignal zum Auslaufen auf. Die Classic-Flotte zögerte geschlossen, bis es auf einmal hieß, auf der Regattabahn herrschten nur 15 Knoten (wobei diese Messung offensichtlich wie immer mit einem Hand-Anemometer im Sitzen vor der Kabine des Motorbootes erfolgte, also nicht gerade aussagekräftig war). Zehn zumeist über 95 kg wiegende Segler kämpften sich auf die Bahn, fünf weitere brachen den Versuch ab, weil sie beim mittlerweile tobenden Hexenkessel vor Torbole nicht einmal durch die Wende kamen. Die Vernünftigen hatten ohnehin längst beschlossen, an diesem Wahnsinn nicht teilhaben zu wollen, darunter der führende Moritz Weiß.
Die Wettfahrleitung schoss dessen ungeachtet zwei Rennen an, von denen Scott Anderson hinterher sagte, sie seien „well over class limit“ gewesen. Er kam kreidebleich an Land und war wie alle Segler heilfroh, dass nur ein Mastbruch und ein gebrochener Baum zu beklagen waren, aber keine Verletzungen. Scotty hatte auf dem Wasser noch versucht, bei der Wettfahrtleitung und der Jury eine Absage der Wettfahrten zu erwirken, drang aber nicht durch. Als fairer Sportsmann bedauerte es sehr, dass die Meisterschaft auf diese Weise entscheiden wurde, er hätte sie lieber bei reellen Bedingungen gegen alle Segler gewonnen, nicht durch eine Mutprobe à la Survival of the Fittest.
Der Freitag versöhnte dann wieder etwas. Die Classics durften endlich als Erste aufs Wasser und konnten zwei Wettfahrten bei schönen Bedingungen segeln. Beide gewann Moritz Weis und sicherte sich damit den dritten Platz in der Gesamtwertung. Verdienter Gewinner der Regatta wurde Scott Anderson. Er war nicht nur schnell unterwegs, sondern auch taktisch der Beste. Der Spanier Gustovo Doreste wurde aufgrund seines zweiten Platzes ebenso verdient Europameister. Chapeau!

Scotty in Action


Spannend war die Europameisterschaft auch in technischer Hinsicht. Ein gutes Dutzend Segler trat erfolgreich mit aktuellen Exploder-AD3-Plattformen und mit vergleichbaren Scheurer G6-Plattformen an, mit Schwertverstellung, großen nichtverstellbaren Ruderfoils und flachgeschnittenen Decksweeper-Segeln mit kleinen Tops. Diese Plattformen unterschieden sich nur um Detail, etwa ob sie ein rigides oder nichtrigides Trampolin haben. Es zeigte sich: Alles, was Foiler schnell macht, beschleunigt auch die Classics. Die AD3 und G6 fahren, sobald es eine Windgeschwindigkeit von über 12 Knoten hat, am Wind rund 13 Knoten schnell, Downwind sind es knapp 20 Knoten. Das ist um einiges schneller als bisherige konventionelle Classics. Dass Scott Anderson mit einem eigentlich nur bei leichterem Wind vorteilhaften Nikita gewann, lag in erster Linie an seiner hervorragenden Segelerfahrung. Allerdings wies auch sein Boot einen flachen Decksweeper, Ruderfoils und eine Schwertverstellung auf. Interessant ist ein Detail an seinem Boot: Er benutzt einen geraden Großbaum, das Segel wird doppellagig im 49er-Stil um den Baum herum geführt. Das Segel beult zwar ein wenig ein, doch das scheint keinen Nachteil zu bewirken. Der Lümmelbeschlag ist ganz unten am Mast angebracht, der Baum ragt schräg zum Heck auf. Vorteil ist, dass man bei einer Umrüstung von einem konventionellen Segel seinen alten Baum und sein Großschotsystem beibehalten kann.
Ein italienischer Segler trat mit einem nagelneuen „Alien“-Mast von Bimare/ Petrucci an. Laut seiner Aussage ist er etwas leichter als die Masten anderer Hersteller, da er bei 120 Grad in einem Autoklaven gebacken wird. Der Mast machte einen sehr guten Eindruck, muss sich allerdings noch in der weiteren Praxis bewähren. Bewährt haben sich hingegen bereits die Segel zahlreicher verschiedener Segelmacher. Es gibt inzwischen rund zehn Manufakturen, die sehr gute Qualität liefern; ein genereller Speedunterschied zwischen ihren Segeln war nicht auszumachen.


Fazit: Die Euro am Gardasee war ein großes Abenteuer, das überwiegend riesigen Spaß gemacht hat und bei den Classics nur durch einige Fehlentscheidungen der Wettfahrtleitung beeinträchtigt wurde. Ein ganz besonderer Dank gebührt Rainer Bohrer, der die Euro über zwei Jahre lang vorbereitet hat und dabei gelegentlich viel Geduld und Frustrationstoleranz aufbringen musste, sowie Sylvia Gath vom CV Arco, die mit ihrem Charme jederzeit die anspruchsvolle Horde der A-Cat-Segler bändigen konnte.
Nächstes Jahr geht es dann zur WM nach Toulon am Mittelmeer. Sie wird offen ausgeschrieben und könnte deutlich über 50 Classics anziehen, da diese gerade in Frankreich und Italien weit verbreitet sind.

Christian himself

Christian Stock GER 100

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